Als glühender Portugalfan hatte ich lange Zeit ein gestörtes Verhältnis zu Spanien, zu riesig und unübersichtlich, im Gegensatz zum geliebten Portugiesisch eine sehr harte und gewöhnungsbedürftige Sprache und beim Wein schreckten mich die gigantischen Weinfabriken ab (mehrfache Millionenauflagen sind hier keine Seltenheit!). Volle und lange Regalwände in den Supermärkten mit spanischem Wein, früher viel zu viel Holz im Wein und Knoblauch im Essen, überall stand Gran Reserva drauf, aber fast immer nur Masse statt Klasse! Natürlich auch alles nur Vorurteile und Unwissen, beim Besuch einer meiner Lieblingsweinhändler in Wuppertal habe ich dann die nachfolgende Flasche Rotwein Jahrgang 2015 mit dem Aufdruck „Botella 2129/2689“ gefunden. Sollte es doch kleine und feine Erzeuger in Spanien geben?, meine Neugier war erwacht, es hing nun alles am ersten Wein:
2689 Flaschen einer Cuvee 2015 aus Rebsorten wie Garnacha Tintorea (Grenache), Gran Negro, Mencia und Merenzano aus dem Hinterland Galiziens in Spaniens Nordwesten. Aus ca. 4 Hektar Steillagen mit hohem Granit- und Schieferanteil, die erst sanft und dann steil vom Kleinstädtchen Manzaneda Richtung Tal des Flusses Bibei und seiner Zuflüsse abfallen, erzeugt die noch junge aber schon erfahrene Winzerin Laura Lorenzo Dominguez unter dem Namen Ihres Weingutes Daterra Viticultores den Azos da Villa. Genau der richtige Wein, um mich in die Welt dieser besonderen Rotweine abtauchen zu lassen, nach guter Belüftung schöner Duft nach Himbeere und Kirsche, Graphit (Bleistift), Leder und etwas Pfeffer, im Mund sehr fruchtig (wieder Kirsche) bei mittlerem Körper, weich und elegant, schön eingebundene Säure und sehr gute Länge mit erdigen Noten. Richtig toller Wein! Die Entdeckungstour konnte also beginnen!
Auch der Portela do Vento 2016 von Daterra in kleiner Auflage (6052 Flaschen), eine Cuvee aus 90% Mencia und 10% Garnacha von teilweise sehr alten Reben aus 500 Meter Höhe von den granithaltigen Steilhängen der Flüsse Sil und Bibei. Die Appellation in dieser abgelegenen und sehr schönen Gegend in der Provinz Ourense (benannt nach der Provinzhauptstadt) nennt man Ribeira Sacra D.O.. Der Wein aber ohne Appellationsbezeichnung. Im Duft nur verhalten etwas Himbeere, dafür unglaubliche Anklänge an Eisen, Graphit und Lakritz, Thymian, Eukalyptus und Pfeffer, im Mund viel Kühle, balsamisch, wunderbare Würze, wieder wunderbar eingebundene Säure bei sehr guter Länge, diese Weine fordern, machen aber unglaublich viel Spaß und bieten viel Komplexität.
Nun machen wir einen Sprung in die berühmte Rioja: hinter Tentenublo Wines steht der hochveranlagte Winzer Roberto Olivan, von seinem Escondite del Ardacho, El Abundillano 2018, wurden genau 1333 Flaschen von 90 bis 105 Jahre alten Reben erzeugt. Garnacha (Grenache), Tempranillo und etwas Malvasia von sandigen und kalkhaltigen Böden ergeben einen völlig eigenständigen und spannenden Wein, den ich blind niemals in diese Gegend verortet hätte. Unbedingt dekantieren, die Eidechse im Versteck schnappt geradezu nach Luft, ein intensiver Wein mit 15,5% (!!!) Alkohol, der es trotz meiner Bedenken nach stundenlanger Belüftung schafft, eine spektakuläre Kurve vom brandigen MonCherie-Kraftmonster zur finessenreichen, joghurtliebenden Primaballerina hinzubekommen. Spannender und hochkonzentrierter Freakstoff, mit etwas Zeit (nach ca. 7 Stunden im Dekanter, aber vorher lieber noch einige Jahre in der Flasche reifen lassen!) kann man dann der Metamorphose live beiwohnen und immer neue Duft- und Geschmackseindrücke auf sich wirken lassen, tolle Aromen von Himbeeren und Brombeeren, Lakritz, Veilchen, geröstetes Brot, auch leichte Holznote, nach Stunden dann auftauchende laktische Noten (Joghurt), im Mund sehr soft, elegant, leichter brandiger Kitzel, der nach Zeit immer mehr mineralischen Noten Platz macht, sehr langer Abgang, verblüffender und unglaublicher Stoff, Respekt!
Die aus Andalusien stammende Bodegas Baron (eigentlich Sherry-Hersteller aus Sanlúcar de Barrameda, Manzanilla-Appellation auch hier vor kurzem Thema!) hat sich nachhaltig in die Rioja eingekauft und liebevoll Weinberge mit altem Rebbestand restauriert. Zum Portfolio gehört auch der rote Paranormal 2018 (50% Maturana Tinta und 50% Tempranillo) mit einer jährlichen Auflage von ca. 4000 Flaschen, der nach dem Escondite del Ardacho und trotz seines Namens herrlich unkompliziert trinkbar und „normal“ daherkommt. Weinmacher Juan Carlos Sancha zeigt hier eindrucksvoll, dass mit der schon fast ausgestorbenen Rebsorte Maturana Tinta noch zu rechnen ist, besonders wenn es sich um sehr alte Rebstöcke handelt: hier geht es für Rioja eigentlich untypisch in die Cool Climate-Richtung, im Duft rote Beeren, Würze, leichte Holznote und Rauch, im Mund Frucht, aber auch viel Mineralität und kühle Eleganz, langer, etwas pfeffriger Abgang, trotz seiner Jugend schon ein sehr gut trinkbarer Wein. Wieder ein schöner Treffer, so eine Serie hier dann vielleicht doch „Paranormal“! Das Weingut wurde bisher für seine Etiketten von Design-Instituten mit „Gold“ ausgezeichnet, ich gebe auch für den Inhalt der Flasche Edelmetall!
Hinter Envinate stehen die vier Winzer und Freunde Roberto Santana Moralez, Laura Ramos Jiminez, Jose Angel Martinez Marchanda und Alfonso Torrente Solana, die sich beim Weinbaustudium in Alicante kennengelernt haben. Angetrieben von der einfachen aber auch genialen Idee, möglichst terroirgeprägte Weine zu erzeugen, agierte man ab 2005 als Weinberatungsgruppe und füllte dann ab 2009 unter dem Namen Envinate auch selber Weine ab. Dabei konzentrierte man sich auf vier Ecken (Teneriffa, Ribeira Sacra, Almansa und Extremadura), die Einbringung der Stärken aller vier Winzer bei jedem Projekt, alte Rebstöcke, Handlese und traditionelle Arbeitsweisen ohne Chemie im Weinberg und im Keller, Herausarbeiten der Rebsorte und des Standortes in Duft und Geschmack. So entstanden einige eigenständige „Avantgarde“-Weine, einer davon ist der extrem spannende Migan Tinto 2018 aus Teneriffa aus bis zu 120 jährigen Listan Negro-Rebstöcken in einer Auflage von ca. 8000 Flaschen.
Rubinrote Farbe, sehr komplexe Nase nach roten Beeren (Himbeere und Erdbeere), Kirsche, Rauch, erdigen Noten, Leder, Pfeffer und Rosen, im Mund Frucht und Würze, frische Säure, feine Tannine, wirkt leicht und tänzelnd, bietet aber auch eine tiefgründige Mineralität und einen sehr langen Abgang. Extrem feiner und spannender Wein, den ich blind mal ins Burgund, ins Beaujolais oder ins Piemont verortet hätte, ohne von meiner Einschätzung zufrieden bzw. überzeugt zu sein, neben der besonderen Rebsorte spielen hier wohl die Vulkanböden Teneriffas den ausschlaggebenden Faktor. Auch dieser Wein hat mir unglaublich gut gefallen!
Auch aus dem Norden Teneriffas der Einzellagen-Wein La Solana 2012 vom Weingut Suertes del Marques unter Appellationsvorschriften der D.O. Valle de la Orotava aus der autochthonen Rebsorte Listan Negro erzeugt. Das Weingut füllt erst ab 2006 seine eigenen Weine ab, vorher verschwand das wertvolle Traubengut als Aufpepper in irgendwelchen dünnen Genossenschaftsweinen. Mit dem hochtalentierten Weinmacher Roberto Santana Moralez startete man schnell durch, bis sich Roberto lieber seinen eigenen Projekten (bei Envinate) widmen wollte. Als Ersatz verpflichtete Besitzer Jonatan Garcia einen weiteren Überflieger, den Portugiesen Luis Seabra (ehemalig Niepoort). Die Weinmacher haben im Weingut Suertes del Marques relativ freie Hand, die Philosophie (sämtliche Schritte in Weinberg und Keller erfolgen per Handarbeit, biodynamische Grundsätze, Spontanvergärung, keine Schönung und Filterung) ist von Ihnen eh verinnerlicht. Die Reben kommen von 80 bis 150 Jahre alten Listan Negro-Rebstöcken aus ca. 500 Meter Höhe aus der ca. 2 Hektar großen Vulkangestein-Einzellage La Solana. Es werden jährlich ca. 10 000 Flaschen erzeugt.
Kirschrote Farbe, in der Nase Rauch, erdige Töne und Würze, im Mund viel Frucht (Kirsche), aber auch mineralische Töne und süße Würze, erfrischende Säure, mittlerer Körper und schön lang. Macht ebenfalls richtig Spaß, ein toller Wein!
Zum Schluss das spannende Projekt vom Weinmacher Manuel Manzaneque Suarez, der nach Ausbildung, Wanderjahren und 10 Jahren Arbeit im elterlichen Betrieb (Bodega Pago Finca Elez!!!) 2011 das eigene Weingut EA Vinos in Kastilien/La Mancha gründete und ab 2014 jährlich diesen reinsortigen Cencibel (Tempranillo) von sandigen Böden mit Kalkstein- und Tonanteil als rotes Flagschiff seiner Kollektion kreiert. Die ca. ein Hektar große Parzelle Mil Cepas liegt am Fluss Rio Zancara unweit des Städtchens El Provencio. Die Rebstöcke sind ca. 35 Jahre alt, Jahresproduktion ca. 2000 Flaschen.
Violetter Farbeinschlag, balsamischer Duft , dunkle Früchte, Lakritze, Joghurt. etwas Holz, weich und rund, schöne Beerennote, frische Säure, sehr lang, fantastischer Wein. So einen Wein hätte ich auch nie aus der Ecke La Mancha vermutet, wirklich überraschend!
Fazit:
was für eine Serie, was für spannende Weine! Die Verkostung hat so viel Spaß gemacht, ich hätte immer weiter machen können, das hat bei mir echte Weinglücksgefühle ausgelöst, das gab es schon lange nicht mehr!
Der Weinhändler hat sich spektakulär auf diese besonderen Weine Spaniens spezialisiert, auch auf die Gefahr hin, dass in seinem Online-Shop wieder öfter das kleine Männchen mit dem „Ausverkauft“-Banner zu sehen ist, dort sind neben den vorgestellten Weinen noch viel mehr besondere spanische Weine zu entdecken. Ein großes Lob für dieses Angebot, ohne großes Engagement, eine gewisse Besessenheit, Leidenschaft und Begeisterung des Weinhändlers ist so etwas nicht möglich! Davon sollten sich andere Weinhändler mal etwas abschauen, die mich mit ihren Standard- oder Hochpreissortimenten von den bekannten Groß- und Zwischenhändlern langweilen, es muss ja nicht Spanien sein, Hauptsache man brennt für sein Thema und zeigt eigenständigen Entdeckergeist!
Nach diesem Thema fällt es mir besonders schwer, einfach weiterzuziehen und die nächste Baustelle zu beackern, es wird um Weine mit besonders gutem Preis-Leistungs-Verhältnis (PLV) gehen, so viel kann ich schon verraten.
Hallo Peter, der Rotwein Paranormal ist ein echter Gewinn. Super. Sollen wir von La Palma nächste mal einen Wein mitbringen??
Liebe Grüße
Der Gregorbär 😉
Hallo, meine Lieblingsbähren,
Reaktionen freuen mich immer, finde den Paranormal für einen Rioja auch ganz erstaunlich,
natürlich dürft Ihr was von La Palma mitbringen, das Probieren vor Ort ist immer noch
das größte Abenteuer und unsere leider ausgefallene Spanienprobe steht demnächst auch noch an.
Hatte heute den ganzen Tag trübe Gedanken, die neuen monatlichen Blog-Besucherzahlen kamen gestern raus,
jetzt geht es wieder etwas besser! Bis später Weinschank, Peter