Rheingrau, Temperatursturz im Rheingau!

Wir bekamen in der tollen spätsommerlich sonnigen ersten  Bamberg-Woche schon über die Wettervorhersage den finsteren Hinweis, dass die zweite Woche im Rheingau am Transferwochenende (Ende September) mit einem spektakulären Temperatursturz begänne und im Regenchaos versinken würde. Ich war untröstlich und wollte gar nicht aus Bamberg weg, hatte ich den Rheingau doch schon so oft bei Königswetter besuchen dürfen und sehr viel bei ausgiebigen Rad-, Wander- und Genusstouren mit tollen und unterschiedlichen  Menschen erlebt. Nun also wahrscheinlich eine besondere Premiere, grauer Rheingau, wie sollte das auch weintechnisch nach der Superlative Bamberg was werden? Schon auf der Fahrt am Main entlang über Bürgstadt (Weingut Fürst!), Miltenberg und Klingenberg (Benedikt Baltes!) gab es richtig heftig auf die Mütze, prasselnde und nieselnde Schauer, das sah gar nicht gut aus! Aber in Wiesbaden hörte es auf zu meimeln und meine Freundin hatte nicht nur eine große, schöne und helle Ferienwohnung an Land gezogen, sondern auch durch Zufall für weininteressierte Vermieter gesorgt. Wir bekamen tolle Tipps für unseren Besuch in Wiesbaden und im Rheingau von der Vermieterin (gebürtig von der Loire) und am letzten Abend durfte ich sogar mit dem Vermieter in den beeindruckenden Weinkeller unter unserer FW absteigen, für mich ein unvergessliches Erlebnis. Danke noch mal an unsere beiden Lieblings-Schiersteiner!

Für eine Woche unsere Burg: Maison Elise + Philipp in Wiesbaden-Schierstein!

Es blieb die ganze Woche kühl, unbeständig und grau und so war das Thema klar (besonders nach Seilbahnfahrten im Regen!), etwas Warmes braucht der Mensch, Spätburgunder aus dem Rheingau!

Hui, Assmannshausen unten, von oben Regen!

Beim Abklappern der touristischen Höhepunkte (schaut mal unter Reisen zum Wein – Rheingau) fiel uns gegenüber des denkmalgeschützten Rüdesheimer Bahnhofes die RheinWeinWelt auf, eine neue Anlaufstelle zum Thema Wein in der Asbachgasse! Im sehr schönen Ambiente (ehemaliges Asbachlager) konnte man im vorderen Teil für jeweils einen Euro Jetons kaufen und hätte dann theoretisch in den hinteren Räumen 160 Rheinweine aus Weinautomaten probieren können. Alle Weingüter wurden mit Bildern und Infotexten auf Schautafeln vorgestellt.   Wir konzentrierten uns auf unser Thema (nur Spätburgunder aus dem Rheingau), hatten aber so unsere Probleme mit den Gläsern, der Kleinstmenge 0,02 Liter und mit einem Piraten, der für mich die Verkostung gewann, aber natürlich nicht aus dem Rheingau kam und auch kein Spätburgunder war (so etwas passiert mir regelmäßig, wenn ich Weine zu einem vorgegebenen Thema suche!). Wir kauften diesen Champion für den nächsten Beitrag (seid gespannt!) und ein paar positiv aufgefallene Spätburgunder für die abschließende Nachprobe. Mit dem Zug ging es dann nach Schierstein zurück.

RheinWeinWelt, mein Lieblingseurograb!

Der Zug ist im Rheingau ein schnelles und komfortables Verkehrsmittel, alle Orte unten am Rhein sind mit Bahnhöfen ausgestattet und verbunden, man darf kostenlos Fahrräder mitnehmen und der Takt ist auch in Ordnung. Bei einer unserer vielen Fahrten ist meiner Freundin beim Blick aus dem Zugfenster ein schönes Geschäft namens Esskork in Eltville aufgefallen und beim Besuch des Rosenstädtchens wurden wir dann später vorstellig.

Eltville

Wir bekamen eine supernette und sehr kompetente Beratung, Spätburgunder aus dem Rheingau war hier eines der Hauptthemen, jede Flasche wurde beschrieben, großes Glück für uns (noch mal tausend Dank an Esskork, Schwalbacher Str. 22A, Eltville!), nun hatten wir endgültig unsere Weine für unsere Fotos und auch für eine abschließende Blindprobe in der Heimat zusammen.

Alle Teilnehmer von West nach Ost, von Lorch bis Walluf.

Eleganter PLV- Erdrutsch: Spätburgunder 2016, Lorcher Kapellenberg, Traubenwerk, Endre Kasa, Lorch

Eigentlich mag ich Flaschen nicht, auf deren Etikett irgendwelche coolen Sprüche stehen (z.B. „Open, Enjoy, Empty, Repeat“) und die wichtigen Infos dann irgendwo auf der Rückseite ganz klein versteckt sind.  Aber es kommt ja auf den Inhalt an und da konnte der Spätburgunder vom Lorcher Kapellenberg 2016 vom Traubenwerk (Endre Kasa) sehr überzeugen. Schöner Duft nach roten Beeren, sehr weich und samtig, Säure schön dezent im Hintergrund, sehr harmonisch und süffig, auch solo denkbar. Ein Spätburgunder für Einsteiger mit tollem PLV (ein echter Geheimtipp!) und ein verheißungsvoller Auftakt der Serie. Einziges Problem (beim Nachbestellen bemerkt!): Spätburgunder beim Traubenwerk immer extrem schnell ausverkauft!

Spätburgunder 2018 Assmannshäuser Höllenberg, Weingut Mohr, Lorch

Schon sehr viel Spaß macht dieser junge Spätburgunder 2018 vom Weingut Mohr (Jochen Neher, Lorch) aus der Paradelage Assmannshäuser Höllenberg, Duftoffensive nach Kirschen, roten Beeren und Minze. Im Mund sehr vollmundig und weich, viel Frucht, etwas Würze, nicht zu viel Säure, harmonisch und lang. Bin bei der Blindverkostung weder auf das Weingut noch auf den Jahrgang gekommen, bin aber dafür nachhaltig begeistert, toller Wein! Als Essensbegleiter zu Wild oder Lamm ein Traum! Jochen Neher betreibt seit 1992 mit seiner Frau Saynur als Urenkel des Weingutsgründers Wilhelm Mohr das ca. 7 Hektar große Weingut und ist mir bisher durch seinen tollen Sekt und manchen schönen Weißwein aufgefallen, mit dem Spätburgunder Assmannshäuser Höllenberg 2018 nun also auch ein großartiger Rotwein, das freut mich sehr!

Pinot Noir 2015 trocken, Assmannshausen, Bischöfliches Weingut, Rüdesheim

Und dann ein Paukenschlag aus dem Burgunder-Glas, hellrote, transparente Farbe, in der Nase Gewürze, Graphit und etwas rote und schwarze Frucht, sehr kühle Aromatik, fein, elegant und seidig, gut eingebundene Säure, Mineraltöne und wunderbare Länge. Ein Wein mit immer neuen Facetten, sehr komplex, tiefgründig, ein großer Favorit! Wunderbarer Essensbegleiter und ein kleines Meisterwerk! Neben seiner Tätigkeit beim Weingut Krone (Suchfunktion benutzen!) ist Peter Perabo seit 2007 auch Kellermeister beim altehrwürdigen Bischöflichen Weingut hoch über Rüdesheim im Ortsteil Eibingen, auf halben Weg zur Abtei Hildegard. Ein echter Könner, wenn sein Name fällt, kann man immer gespannt und neugierig sein, ihm gelingen nicht nur beim Weingut Krone tolle Burgunder!

Pinot Noir 2015, Selection Schulz, Weingut Chat Sauvage, Johannisberg

Und noch ein großer Gewinner aus dem Burgunderglas: wieder diese hellrote und transparente Farbe (für mich mittlerweile ein echtes Gütezeichen geworden, egal ob bei Pinot Noir, Spätburgunder, Nebbiolo, Nerello Mascalese (früher auch bei Sangiovese) u.a., aber die Mehrheit will es lieber immer tiefdunkel, das ist ein großes Missverständnis!), eine Duftexplosion in der Nase, rote Beeren, aber auch Lakritz, Tabak, Kräuter und Erde, im Mund eine faszinierende Kühle, erdige Noten, Mineralität,  kaum noch  Frucht, dadurch knorrig und edel, extrem lang, was für ein Wein (ein Gutswein, also Basis!!!), sehr beeindruckend! Und auch hier wieder: zu kräftigen Braten oder zur Gans der ideale Begleiter, der hellrote Wein schafft die Kombination spielend und kommt immer wieder zurück, er ist so vielschichtig, da kann man nur staunen! Staunen kann man auch nur über die Geschichte des Aufbaus des Weingutes Chat Sauvage („Wilde Katze“). Der Hamburger Unternehmer und große Burgunderfan Günter Schulz startete im Jahr 2000 mit der kühnen Idee, im Rheingau Rotweine nach burgundischem Vorbild zu produzieren, er erkannte das Riesenpotential der schiefrigen Steillagen und schreckte vor keinem Hindernis zurück: bei Christie’s versteigerte er sogar seine legendäre Bordeauxwein-Sammlung, um frisches Geld für sein Projekt zu bekommen, seit 2010 steht nun ein neues Weingut im Westen von Johannisberg und erinnert ein wenig an die futuristischen Weingüter von Gernot Heinrich oder Claus Preisinger am Neusiedlersee! Dieses Weingut sollte man auf jeden Fall auf dem Schirm haben…

3 Spitzenrotweine aus dem Rheingau!

Mit dem dauerausverkauften Spätburgunder vom Traubenwerk wurden vier sehr schöne Weine gefunden, wobei ich an dieser Stelle noch mal an die Subjektivität meiner Proben erinnern möchte. Bei den nicht erwähnten Weinen störte mich halt immer etwas, zu rustikal, zu viel Säure, zu viel Cassis, zu herb, Essignoten usw., usw.. Als Essensbegleiter legten die verschmähten Weine dann aber auch immer zu und wurden runder und süffiger. Im direkten Vergleich konnte aber kein Wein an die drei fotografierten Champs herankommen, hier wurde scheinbar nur bestes Lesegut verarbeitet, die Säure ist immer perfekt eingebunden, es gibt keine überdeckenden und störenden Faktoren, Eleganz, Frische und Harmonie stehen an erster Stelle, hier wurde der traditionelle (etwas rustikale) Rheingau-Spätburgunder-Stil behutsam und auch spektakulär in die Moderne überführt. Für mich immer ein kleines Wunder, wenn es trotz aller widriger Umstände dann doch zu solchen Weinentdeckungen kommt. Der Rheingau bleibt für mich eine meiner Lieblingsweinregionen!