Neulich war der Weinschank mal wieder in einem der Altbau-Speckgürtelviertel Münsters unterwegs und besuchte dort einen der alteingesessenen Weinhändler, um Inspiration für neue blog-Themen zu bekommen. Er staunte mal wieder sehr, was sich abseits der Innenstadt so alles tolles entwickelt hat, ein wirklich sehr schöner Laden, (s)ein Traum!
Da redefreudige Kunden im Laden waren, konnte ich (der Weinschank) in aller Ruhe die gut gefüllten Reihen abschreiten. Neben Schoppenware fand ich auch interessante Weingüter und auch einige wenige Bekannte aus meinem blog (Domaine Bellevue und Le Contesse). Irgendwann war ich mit der Besichtigung durch und belauschte dann heimlich die Kunden, die unaufhörlich auf den Weinhändler einredeten. Es ging nur um privates Zeug und Probleme, irgendwann sollte doch mal jede Lebensgeschichte auserzählt sein und richtig, man zog dann wirklich mit zwei Flaschen aus der Grabbelkiste für je 3,99 Euro von dannen. Da der soziale Auftrag des Weinhändlers im Viertel fürs Erste nun erfüllt schien, wollte ich die Gunst der Stunde nutzen und ein kleines Weingespräch führen. Das klappte auch ganz gut, der Weinhändler wirkte kompetent, engagiert und bemüht, doch dann ließ ich leichtsinnigerweise das Wort VDP fallen. In seiner Antwort lag viel tiefgründiges, er würde so VDP-Weine wie z.B. die vom Weingut Wittmann aus Rheinhessen sehr mögen, aber es wären „Museumsweine“, die er in seinem Laden niemals verkaufen könnte, reine Ausstellungsstücke. Das irritierte mich nun wirklich sehr, hatte ich doch noch in meinem Lieblingsrestaurant Mangold in Wülfrath (leider mittlerweile geschlossen, es zerreißt mein Herz immer noch!) als letzten entdeckten Wein einen sehr guten und typischen VDP.Gutswein Silvaner 2018 vom Weingut Wittmann aus Rheinhessen entdeckt! Aber die VDP.Qualitätspyramide (seit 2012) mit ihren Qualitätsstufen schien im Laden unbekannt, eine riesige ungenutzte Chance!, hier besteht doch Beratungsbedarf bei vielen Kunden, bei den VDP-Weingütern verbirgt sich auch im unteren Segment öfter sehr viel Qualität, die man einfach nur finden muss. Eigentlich eine Existenzberechtigung für den stationären Weinhandel. Ich verließ den Laden mit einigen schon vorgestellten Siegerschankwein-Flaschen und einem neuen Thema: die VDP.Gutsweine vom Weingut Wittmann aus Rheinhessen.
Rheinhessen ist das größte der 13 Weinanbaugebiete Deutschlands (ca. 26500 Hektar) und liegt trotz seines Namens nicht in Hessen, sondern in Rheinland-Pfalz. Auf meinen ausgedehnten Rad- und Zugtouren durch das Gebiet der 100 Hügel bzw. 1000 Hügelchen erschienen mir immer die Ränder (z.B. der Scharlachberg bei Bingen oder die Lagen bei Nierstein und Oppenheim) interessanter als das innere Gebiet. Die Sonne brannte einem dort immer erbarmungslos bei den Radtouren durch die baumarme „Weinwüste“ auf die Mütze. Ich zog mich dann immer schnell wieder nördlich über den Rhein in mein geliebtes Rheingau (Hessen) zurück. Allerdings soll es weit unten im Süden der Region einen hotspot und ein Eldorado für Weine und Sekte rund um den Ort Westhofen geben, deshalb war ich sehr froh, endlich mal eine doppelte Steilvorlage für einen Wein aus Rheinhessen zu bekommen.
Es gibt 18 VDP-Winzer in Rheinhessen, die Ihre Sortimente nach der VDP-Qualitätspyramide ausrichten, entdeckt habe ich den ausgezeichneten VDP.Gutswein Silvaner 2018 vom Weingut Wittmann. VDP.Gutsweine kommen zwar aus der untersten Stufe der VDP.Qualitätspyramide, unterliegen aber auch Regeln, hier entscheidet sich für mich immer, ob die Weine rebsortentypisch, gehaltvoll, mit gutem PLV ausgestattet sind und dann Lust auf Aufstieg in der Pyramide machen. Sie sind praktisch die Visitenkarten der VDP-Winzer!
Der VDP.Gutswein Silvaner 2018 ist goldgelb, duftet nach Kräutern und Apfel, am Gaumen Zitrusnoten, dazu feine Bittermandel, schön süffig und schmelzig, mittlere Säure, langer Nachhall, super PLV! Zeigte sich zum Essen im Restaurant Mangold immer als echter Allrounder, bewährter Begleiter zu Fisch, Spargel, Kalbsfleisch und Geflügel, ein echter Spaßmacher!
Den VDP.Gutswein Riesling 2018 zeichnet vor allem aus, dass er ein echter Riesling ist! Mein Eindruck: keine Zugabe von Traminer oder Sauvignon blanc, kein biologischer Säureabbau, ungeschminktes Trinkvergnügen, das ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr, einige VDP-Weingüter murksen sich Ihre Gutsweine für den Anfänger-Allgemeingeschmack zusammen, kaufen Trauben zu und verticken dann alles im Zeichen des Traubenadlers (oder auch ohne!) bei Aldi-Süd. Der Wittmann-Riesling halt mit ordentlicher Säure, ich bekomme selber mit zunehmenden Alter immer mehr Probleme damit, aber Riesling hat und benötigt für die verschiedenen Weine und Prädikate unbedingt diese Säure. Freundet man sich damit an, bekommt man bei Wittmann schon auf Gutswein-Ebene volles Riesling-Programm, Duft nach Pfirsich und Birne, im Mund Zitrusnoten, saftig, mineralisch, schöner Trinkfluss, langer und würziger Abgang! Großes Lob für solch einen VDP.Gutswein Riesling, man bleibt authentisch und fern vom weichgespülten Massengeschmack!
Eigentlich wollte ich nur den VDP.Gutswein Silvaner 2018 vorstellen, aber nach dem tollen Riesling war ich noch mehr vom großartigen VDP.Gutswein Grauburgunder 2018 geflasht, goldgelbe Farbe, Duft nach Äpfeln und auch florale Noten, am Gaumen so cremig und süffig, ausgewogene Zitrusfrucht, mittlerer Körper, gute Länge mit Mineralton, dezente Säure, mein Lieblings-Gutswein 2018 bei Wittmann, köstlich!
Die drei Gutsweine hätten wunderbar in das Sortiment des Weinhändlers gepasst, alle drei sortentypisch und mit starkem PLV! Mit „Museumswein“ meinte er wohl eher die Spitze der VDP-Qualitätspyramide, bei Wittmann die trockenen Rieslinge aus „VDP.Grosse Lage“, die GG (Grossen Gewächse). Aber als Weinhändler kommt man vielleicht nur an die VDP.Gutsweine, wenn man auch gleichzeitig ein Kontingent GG abnimmt. Für mich war an dieser Stelle klar, wer als Winzer solche tollen Weine im Gutswein-Bereich macht, bei dem lohnt es sich auch, die Hochkaräter zu probieren.
Im direkten Vergleich zum VDP.Gutswein Riesling merkte man bei den VDP.Grossen Gewächsen auch gleich deutlich die Unterschiede: mehr Substanz, Fülle und Tiefe, komplexere Nase, mehr Mineralnoten, mehr Frucht, längerer Abgang, aber bei allen drei GG 2018, Kirchspiel, Morstein und Aulerde störte mich die ungestüme Jugend, es harmonisierte noch nichts, alle Komponenten standen nebeneinander, auch Bitternoten, heftige Säure, es war wirklich Wahnsinn, diese hochpreisigen Weine schon so früh zu öffnen! In dieser Preisklasse sollte man beim Öffnen schon in die Nähe des optimalen Trinkzeitpunktes kommen, sonst ärgert man sich wie ich rabenschwarz! Gewinnen die VDP.Gutsweine bei jedem Jahr Ruhezeit, so benötigen die GG wirklich geschätzte fünf Jahre, um Harmonie zu erlangen! Ich werde deshalb bald GG der Jahrgänge 2015/2016 testen!
Die GG 2018 bei Wittmann sind im Moment nicht in Bestform (ich habe noch welche im Keller und werde noch mal später testen und mich mit den Ergebnissen melden!) und müssen sich in Ruhezeit weiter harmonisieren, es fehlt einfach Zeit! Wer behauptet, er könne junge VDP.Grosse Gewächse beurteilen oder aktuell Lobeshymnen zum 2018er schreibt, der ist ein Märchenerzähler und hat nur kommerzielle Interessen im Kopf! Man kann nur Vermutungen anstellen, das Kirchspiel geht in die feine Richtung, Morstein sehr voll und kräftig, dadurch mit der meisten benötigten Reifezeit, Aulerde mit besonderen und geheimnisvollen Aromen.
Ich freue mich, wenn ich den Traubenadler sehe, ich denke dann immer an die perfekte vierstufige Pyramide, die so an das Burgund erinnert. Leider geht aber beim Umsetzen des Pyramidenwerkes bei den Mitgliedsbetrieben im VDP so viel daneben, einer meiner Arbeitskollegen würde sagen „die machen, was sie wollen!“, der VDP ist halt ein Verband und kann nur die Richtung vorgeben, die Weingüter und auch die VDP-Regionalverbände passen die Pyramide auf ihre Bedürfnisse an und gehen sehr gerne auch chaotische Sonderwege. Dazu kommt ein verrücktes deutsches Weingesetz von 1971, das dringend geändert werden muss (der VDP will auch da angreifen und die nächste Baustelle aufmachen!). Sehr gut funktioniert allerdings die Bepreisung der VDP.Erste Lagen und VDP.Grosse Lagen, da ziehen dann plötzlich wieder alle Mitgliedsbetriebe an einem Strang und verlangen teilweise exorbitante Preise für Ihre Spitzenweine. Verrückte und faszinierende VDP-Welt! Auf jeden Fall merken, dass man die hochpreisigen Aushängeschild-Weine aus VDP.Grosse Lage nicht zu früh öffnet!
Günter Wittmann habe ich am 27. August 2000 kennenlernen dürfen, er war auf einer dieser legendären Proben „Große Deutschlandprobe“ in Herne bei Julius Meimberg, zusammen mit den Winzern bzw. Weingütern J.J. Christoffel, Toni Jost, Kruger-Rumpf, Bassermann-Jordan, Juliusspital und Peter Jakob Kühn. Er war damals schon überzeugter Biowinzer, einfach aus der Überlegung heraus, dass man den Ast auf dem man sitzt nicht absägt (verseucht) und gerade in einem von guten Böden abhängigen Mehrgenerationenbetrieb peinlich genau darauf achtet, dass den Nachfolgern weiterhin die erstklassigen Bedingungen zur Verfügung stehen. Das war für mich so beeindruckend, so logisch und zwingend, dass ich über das Thema Bioweinbau lange keine Gedanken mehr verschwendet habe. Schon lange ist man bei Wittmann nun auch bei Biodynamik angekommen, ohne ideologisch zu werden. Und Sohn Philip hat alle Möglichkeiten der Anstrengungen der Eltern und Vorfahren genutzt und hat noch mal einen Quantensprung mit dem Weingut Wittmann gemacht. Ob er sich allerdings als Vorsitzender des VDP-Regionalverbandes Rheinhessens 2019 mit der Einführung der 2. Pyramiden-Qualitätsstufe „“Ortsname“ aus VDP.Ersten Lagen“ ein Denkmal gesetzt hat, wird die Zukunft erst noch zeigen.