Schon vor der ersten Rotweinprobe (siehe unter „Über 27 Jahre her, meine erste Rotweinprobe!“) hatte ich durch einen traumatischen Zwischenfall eine Top-Weißweinlage an der Mosel entdeckt: an den leider leeren geerbten Weinregalen meines verstorbenen und gemochten Latein-Doktor-Großvaters stand an der Seite noch sehr sorgfältig per Pflaster „Piesporter Goldtröpfchen Spätlese“ aufgeklebt, mein neugieriger erster Vorstoß zum Weißwein in Deutschland konnte daher eigentlich nur nach Piesport ins Weinanbaugebiet Mosel (damals noch Mosel-Saar-Ruwer) gehen. Aber erst 1999 ging es dann für eine Woche nach Trier und ich entdeckte u.a. durch die Weinprobierstube gegenüber vom Dom die Rieslinge des Weingutes Reichsgraf von Kesselstatt, in Ayl im Restaurant der Familie Lauer erste fantastische Saar-Rieslinge und im Cusanus-Stift (Weinprobierstube) in Bernkastel-Kues dann auch tolle Rieslinge vom Karthäuserhof und Maximin Grünhaus von der Ruwer.
Aber so richtig überspringen sollte der Funke erst beim Besuch und Probieren des Piesporter Goldtröpfchens auf der schönen Terrasse des Weingutes Hain direkt an der Mosel (lateinisch Mosella). Die Weine waren hier anders, goldene funkelnde Schmeichler mit betörender Frucht und einem immer wieder neu begeisternden Süß-Säure-Spiel. Süffige Spaßmacher, dabei elegant und mineralisch. Erst beim zweiten Besuch bei den Hains lüftete der damalige Senior-Chef Kurt Hain für mich das Geheimnis, mir hatten die frucht- bzw. restsüßen Weine so gut gefallen! Bis heute bin ich für diesen Einstieg in die faszinierende Mosel-Weinwelt dankbar, kein Platz für damalige weit vorherrschende Vorurteile gegen Süße im Wein (der Weinskandal, blablabla…), einfach Liebe vom ersten Schluck an und dadurch auch Eintrittstor zu den edelsüßen Weinen. Auf dem wertvollen Besitz an der Top-Lage und dem gelegten Fundament der Eltern (eigenes Restaurant Piesporter Goldtröpfchen) konnte der ehrgeizige und hochtalentierte Winzersohn Gernot mit seiner Frau Susanne spektakulär aufbauen. Mittlerweile gewinnen die Hains Preise ohne Ende (sogar „auch“ mit trockenem Piesporter Goldtröpfchen), wie z.B. den „Deutschen Riesling Cup 2016“ im Hotel Bayrischer Hof in München, noch vor Schloss Lieser, Dönnhoff und anderer namhafter Konkurrenz. Nach vielen Jahren der Ablenkung und des Herumtreibens endlich ein Schritt zurück zu den Anfängen und eine Blindverkostung meiner 2018er Hain-Wein Kellerbestände. Da war ich sehr gespannt:
Entspannte Weinprobe (ohne Korkschmecker!) auf hohem Niveau. Wer einmal vorurteilsfrei in die Welt der fruchtsüßen Moselweine eingestiegen ist, der vermisst plötzlich bei den trockenen Weinen etwas. Dafür konnte mich aber das feinherbe Goldtröpfchen Alte Reben 2018 sehr begeistern. Blasses Gelb, in der Nase Pfirsichnoten und hefige Mineralik, im Mund feine Säure, Mineralik und Frucht, würziger Abgang, toller Wein.
Und dann die zwei goldenen Spätlesen, beide drehten nach einiger Zeit Belüftung immer weiter auf, der Domherr (Kernlage des Goldtröpfchens) wirkte durch zurückhaltende Säure sehr füllig und barock, süße Düfte von Honig, Birne und Pfirsich, Hefe, überbordene süße Frucht im Mund, dazu dezent Säure, die Klebrigkeit verhindert und ein langer, süffiger Abgang. Wunderbar!
Die Goldtröpchen Spätlese mit sehr ähnlicher Nase, aber mit viel mehr Säure und dadurch mit diesem faszinierenden Süß-Säure-Spiel, die üppige Fruchtsüße wird durch immer neu anlaufende Säurewellen im Mund in Schach gehalten, Faszination Mosel, Faszination Goldtröpfchen, tänzelnd, verspielt, viel Frucht, süffig. Daumen hoch!
Der Pirat entpuppte sich sogar für mich schnell als Hain-Traubensaft, allerdings ein besonders köstlicher, unbedingt probieren, reine Traubenfrucht, sehr intensiv!
Auf die Spitze getrieben wurde das Thema Süß-Säure-Spiel von Gernot Hain mit dem großartigen Piesporter Goldtröpfchen Spätlese Felsterrassen 2018: ganz feine, messerscharfe Säure trifft am Gaumen auf klare, üppige Frucht, wie ein hochklassiger Boxkampf im Bantamgewicht, alles so fein und elegant, ein endloser Kampf, der im großem Genuss endet. Glückwunsch nach Piesport für solche Weine!
Dem Weingut Hain bin ich über die Jahre relativ treu geblieben, aber schon 2002 wollte ich über den Tellerrand schauen und sehen, was die Mosel sonst noch so zu bieten hat und buchte über Weinland Mövenpick (den Lagerhallen-Weinhändler aus der damaligen Gewerbegebiet-Nachbarschaft in Dortmund) eine Mosel-Saar-Ruwer Weinreise. Es ging per Selbstanreise für drei Übernachtungen ins schöne Romantikhotel Richtershof des Weingutes Max Ferd. Richter in Mülheim an der Mosel. Große Versammlung im Hotel, der charismatische Reiseleiter Götz Drewitz stellte sich vor und zum Kennenlernen ging es erst mal mit der ganzen Gruppe in die Remise des Hotels zum Verkosten der hauseigenen Weine.
Das Weingut besitzt Weinlagen in Mülheim (Helenenkloster, Sonnenlay) und Nachbarschaft (Brauneberger Juffer und Juffer-Sonnenuhr, Gracher Himmelreich und Domprobst, Wehlener Sonnenuhr) direkt an der Mosel und produziert spektakuläre feinherbe, fruchtsüße und edelsüße Rieslinge. Leider sind diese großartigen Weine in Deutschland verkannt und so gehen ca. 85% davon in den Export.
Sehr frische und schlanke Auslese, in der Nase Pfirsich, Apfel und Kräuterwürze, im Mund dann deutliche Süße aber auch gleich eine sehr deutliche werdende Säure, faszinierendes Süß-Säure-Spiel, lang anhaltender, fruchtig mineralischer Abgang. Solche Weine sind fantastisch, fallen aber meiner Meinung als Auslese zu schnell in die Schublade Dessertwein. Dadurch beraubt man sich beim food-pairing aber vieler Möglichkeiten und ich meine da nicht nur die asiatische Küche. Hier ist ein besonderer Auslese-Stil entstanden, da sollte man bei Kombinationsversuchen mit Essen ruhig sehr experimentierfreudig sein.
Morgens dann Start mit einem eigenen Bus, Diplom-Geograph Götz Drewitz besonders an der Geologie der Mosellandschaft interessiert, so kam der Bus auf der Fahrt zum ersten Weingut schon mehrmals zum Halten, einige Besonderheiten diverser Lagen mussten erläutert werden, mich faszinierten dagegen eher die weißen Buchstaben der Lagenbezeichnungen, die a la Hollywood in den Weinbergen standen. Nach einigen Sonnenuhren bogen wir in ein Seitental ab und besuchten das Weingut Markus Molitor, Haus Klosterberg. Schon damals wunderte ich mich über das große Lagenportfolio, Markus Molitor hatte frühzeitig trotz aller logistischen Herausforderungen den Weg nach vorn gewählt und sich wertvollen Besitz an namhaften Lagen verstreut über die ganze Mosel (und Saar) gesichert. Der Start begann als 20 Jähriger 1984 im elterlichen Weingut relativ bescheiden, heute ist er durch sein Können, Fleiß und auch Risikobereitschaft ein berühmter Topwinzer mit ca. 50 Hektar Lagenbesitz geworden.
Die Lage Ürziger Würzgarten schauten wir uns später mit der Gruppe noch genauer an, am Würzgarten bricht rote Erde aus dem Wittlicher Tal an der Mosel hervor. Das gibt es an der Mosel wohl nur zwei Mal. Die feinherbe Riesling Auslese** 2013 von Markus Molitor erscheint goldgelb und füllig, ist aber in Nase und Mund extrem schlank, fein und elegant. Würzige Kräuternoten, Pfirsich und nasser Stein, wunderbar süffig und ausgependelt, langanhaltender würziger Abgang, schöne Überraschung und ein ganz eigenständiger Wein.
Die ebenfalls goldgelbe Riesling Auslese** 2013 aus dem Erdener Treppchen deutlich süßer und fülliger, mit erst versteckter, dann aber sehr angriffslustiger Säure ausgestattet. Ein wirklich toller Wein, hoch bewertet, aber ich habe aus der Flasche an mehreren Tagen nachprobiert, Käse dazu gegessen, die Säure blieb krass, für mich in dem kein Zustand kein Genuss. Hier hilft nur eine sehr lange Lagerung im Weinkeller, um die Komponenten im Wein weiter zu harmonisieren.
Sehr schön die Riesling Auslese** 2012 Saarburger Rausch, etwas blassere goldgelbe Farbe, fantastische Nase nach Pfirsich, Mandarine, Kräuter und Tee, im Mund opulente süße Frucht, die von der Säure in Schach gehalten wird, dadurch schlank und elegant wirkend. Der Abgang lang und trotz Süße ein Sieg für die rassige Säure, die mit vermischter Würzigkeit die Oberhand behält. Finde den Wein sehr gelungen, unbedingt noch Jahre weglegen und lagern, die Säure ist zur Zeit auch hier nichts für schwache Nerven.
Auf dem Rückweg stieg dann ein Hüne (über 2 Meter groß!) mit seinem kleinen Sohn direkt aus den Weinbergen kommend in den Bus zu. Martin Kerpen (Weingut Kerpen) war an Bord und wir besuchten mit ihm seine wunderschöne Jugendstil-Villa in Wehlen, in der der Sohn erst mal eine Hausführung mit uns machte und dabei zu großer Form auflief. Martin Kerpen besitzt ca. 8 Hektar auf der anderen Moselseite, darunter Besitz an der weltberühmten Wehlener Sonnenuhr. Er ist auch Vorsitzender vom Bernkasteler Ring, der ältesten Weinversteigerungs-Winzergemeinschaft (Gründungsdatum 29. April 1899) mit aktuell 35 Mitgliedern (u.a. auch Weingut Markus Molitor).
Die hellgelbe Riesling Spätlese 2020 Wehlener Sonnenuhr mit erdig-mineralischen Tönen und Apfel in der Nase, im Mund etwas Fruchtsüße in Verbindung mit Zitrusnoten, Pfirsich und einer lebhaften Säure, die zur Zeit noch dominant im Abgang ist. Schöner Wein, aber unbedingt noch lagern.
Die Auslese** 2017 aus dem Bernkasteler Bratenhöfchen fließt dicht goldgelb ins Glas, hat ein tolles Bukett nach Pfirsichen, Aprikosen und Honig, im Mund wunderbare Fruchtsüße und deutliche Säure, im Mund wechseln sich Eindrücke von Honig und Grapefruit ab, Säure behält beim langen Abgang noch die Überhand, wunderbarer Wein aber er gehört noch Jahre in den Keller.
Weiter ging es zur Ruwer, wo uns Dr. Carl-Ferdinand von Schubert etwas verspätet und in Eile sportlich aus seinem Jeep begrüßte und bei der Vollbremsung kleine weiße Steinchen über den Hof fliegen ließ. Das Anwesen ist eine wunderschöne eigene Welt und besitzt mit Abtsberg, Herrenberg und Bruderberg drei unterschiedliche Terroirs, die sich in Mikroklima, Bodenbeschaffenheit und Hangneigung deutlich unterscheiden. In guten Jahren kann hier großartiges entstehen. Auch die Kellerwelt absolut sehenswert. Ein großer Klassiker am Flüsschen Ruwer, das etwa 2 km später in die Mosel fließt. Auch hier war ich gespannt, wie neuere Jahrgänge schmecken würden.
Die 2017er Riesling Spätlese „Abtsberg“ ein Favorit von mir, blasses Gelb, in der Nase Apfel, Zitrusfrüchte, Pfirsich, im Mund sehr feinfruchtig, ganz leichte Honignote, unterlegt mit feiner Säure, langer Abgang mit Mineraltönen. Wunderbar leicht und frisch, trotzdem mit Tiefe, toller Wein!
Die 2018er Auslese Nr. 89 aus dem Abtsberg ging mir dagegen zu sehr in die Karamell-Richtung, das entspricht einfach nicht meinem Geschmack. Wer möchte, kann sich gerne die Superlativ-Beschreibung bei einem bekannten Bremer Weinhändler durchlesen, 98 von 100 Punkten, was hilft das alles?, habe verblüfft festgestellt, dass bei der über eine DIN A4-Seite gehenden Bewertung nicht einmal das Wort Karamell fällt, dafür „die in feinem Honig kandierte Zitrusfrucht“ oder „feines Salz und Schieferwürze“. Ich hätte es lieber knapper und deutlicher, wie schon geschrieben, nicht mein Wein. Aber probiert selbst!
Auf der Weiterfahrt zu einem Restaurant an der Saar (Hotel-Villa Keller) dann die Nachricht, dass irgendein weiteres Weingut abgesagt hätte, wir nun dafür aber das Weingut Egon Müller – Scharzhof besuchen würden. Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn ich wusste schon damals, dass Egon Müller sensationelle rest- und edelsüsse Rieslinge produziert, die auf den VDP-Versteigerungen Rekordpreise erzielten. Das Vergnügen war aber nur von kurzer Dauer, weil wir den Bus nicht verlassen durften und nur einen Blick auf das schöne Weingut mit der dahinterliegenden Toplage Scharzhofberg werfen konnten. Das wirkte alles sehr aristokratisch und versnobt, es ist allerdings auch nur die eine Seite des Scharzhofs. Später im Restaurant tauchte Egon Müller dann nämlich plötzlich auf und präsentierte fantastische Prädikatsweine (Spätlesen und Auslesen) zum Menu.
Die blassgelbe 2018er Riesling Auslese Scharzhofberger vom Weingut Egon Müller duftet nach Apfel und Pfirsich, im Mund dann deutliche Süße exotischer Früchte, fein unterlegte Säure und eine Mineralspur, schön langer Abgang mit deutlicher Süße. Finde die Auslese schon gelungen, hätte aber bei dem exorbitanten Preis mehr Finesse, Spiel und Zug erwartet.
Am nächsten Morgen wirkte die Gruppe beim Frühstück doch etwas angeschlagen und gerädert, es war wirklich ein extremer Vortag gewesen und Reiseleiter Götz Drewitz versprach, die Besuche auf Weingütern etwas einzuschränken. Dafür sollte es einen Besuch in Bernkastel-Kues und Besichtigungen weiterer interessanter Lagen geben. Gestartet wurde aber mit einem Besuch im Nachbarort von Mülheim, Brauneberg wurde angefahren und es ging zu Fuß über asphaltierte Wirtschaftswege in Richtung Brauneberger Juffer. Dort standen plötzlich Verkostungstische an einem aussichtsreichen Platz und es gab die ersten Weine vom Weingut Fritz Haag zu verkosten . Der freundliche Besitzer Wilhelm Haag beantwortete geduldig alle Fragen, Sohn Thomas Haag hatte als ehemaliger Kellermeister und Betriebsleiter von Schloss Lieser 1997 den Betrieb tatsächlich erwerben können und war mit gewaltiger Aufbauarbeit beschäftigt, Sohn Oliver sollte dagegen zukünftig in den elterlichen Betrieb einsteigen. Auch meine Frage, warum denn das Weingut den Zusatz Dusemonder Hof trüge, wurde beantwortet: Dusemond war der alte Ortsname von Brauneberg und wies schon damals auf die fantastischen Bedingungen der Weinberge hin: lateinisch mons dulcis, süßer Berg! Das Weingut ist berühmt für seine Konstanz, hier finden sich vom Guts-Riesling bis zu den Weinen aus den VDP.Grosse Lagen überdurchschnittlich viele Treffer. Wilhelm Haag ist dieses Jahr (2021) leider mit 83 Jahren verstorben.
Spannende Riesling Spätlese 2018 aus der VDP. Grosse Lage (Brauneberger) Juffer, hellgelb, geheimnisvolle Nase mit steinigen Noten, Grapefruit und etwas Blüten, im Mund schon wunderbar ausgewogen, fein und frisch, Süße und Säure haben angefangen sich zu verbinden, sehr elegant, im Abgang tauchen leichte Karamellnoten auf, die immer wieder versuchen, gegen die zitrischen Noten anzukämpfen, auch mineralische Töne, unbedingt noch lagern, ein schöner Schatz!
Eine wunderschöne Riesling Auslese 2019 aus der VDP.Grosse Lage (Brauneberger) Juffer Sonnenuhr: strahlendes Gelb, in der Nase Birne, exotische Früchte und ein Hauch Mineralik, im Mund ein unglaublich feines Süß–Säure-Spiel, schon recht harmonisch, sehr schmelzig und süffig, wunderbar frische und schlanke Auslese, im Abgang treffen Grapefruit, Honig und etwas Würze aufeinander, macht schon großen Spaß und bietet großes Potential für die Zukunft. Nicht nur eine große Lage, sondern auch eine große Empfehlung, Oliver Haag ist ein würdiger Nachfolger und ein weiterer Topwinzer in der Familie Haag!
Dann ein unvergesslicher Moment der Reise, Götz Drewitz wollte den Besuch des nächsten Weingutes ankündigen, doch der ganze Bus rief „Pause“ und „Feierabend“, so ging es ins benachbarte Städtchen Bernkastel-Kues und ich konnte einen Teilnehmer dort glücklich machen, der unbedingt seiner Mutter den berühmten Wein Bernkastler Doctor mitbringen wollte und bisher noch nicht fündig wurde. Im Weinkeller des Cusanus-Stiftes dann ein Treffer, ich staunte wieder über die breite Auswahl an Moselweinen in den Gewölben.
Die Reise war kein Kindergeburtstag und nach einer steilen Klettertour im Ürziger Würzgarten ging es weiter Richtung Leiwen, wir sollten da jemand abholen und mit zu unserem Abschiedsessen ins Restaurant unseres Hotels nehmen. Bei unserer Ankunft stand dieser Jemand allerdings noch in voller Arbeitsmontur in seinem Weingutskeller und pumpte mal schnell eben was für einen Winzerkollegen um, der sympathische Tausendsassa Heinz Schmitt in Aktion, einer der Mitbegründer der Leiwener Jungwinzer. Dieses Bild werde ich nie vergessen, genau so wenig wie die Nachricht im schwarzen Moseljahr 2010, dass die Winzer Ulrich Franzen und Heinz Schmitt beide kurz hintereinander in Mosel-Steillagen mit Fahrzeugen tödlich verunglückt sind. Da zeigte die liebliche Mosella mal ein ganz anderes Gesicht, Respekt für alle Steillagen-Winzer, die sich bei aller schweren Arbeit täglich auch einem lebensgefährlichen Risiko aussetzen. Seit diesen schockierenden Nachrichten sehe ich auch noch mal die Flachland-Winzer mit ihren Vollerntern mit ganz anderen Augen. Silvi, die Frau von Heinz Schmitt, konnte mit Hilfe des treuen Kellermeisters Erich Clüsserath und anderer Winzerkollegen das Weingut solange weiterführen, bis Sohn Carlo in den Betrieb einsteigen konnte.
Back to the roots, fast 85 Jahre alte Riesling-Rebstöcke im Neumagener Rosengarten bilden nun die spektakuläre Basis für das neu aufgestellte Weingut Carlo Schmitt, viele zugepachtete Flächen in Top-Lagen der alten Mosel-Weinkarte wurden abgegeben, die Rebfläche sank von 22 auf 2 Hektar. Die Fläche im Rosengarten konnte noch von Heinz Schmitt selbst erworben werden, Carlo fühlt sich diesen alten Rebzeilen besonders verbunden. Irgendwo in der Nähe thront der Uhu. Die 2018er Auslese hat mir sehr gut gefallen, helles Gelb, in der Nase Birne, erdige Noten und Kräuterwürze, im Mund ein Hauch Karamell, zurückhaltende Süße und frische Säure, schönes Spiel, schmelziger Abgang.
Spektakuläre 2007er Beerenauslese aus dem Schweicher Annaberg, honiggelbe Farbe, intensiver Duft nach exotischen Früchten, Honig und Kräutern, im Mund überraschend fein, Mandarine, Honig und Würze, wunderschön unterlegt mit Säure, langer Nachhall, absolut begeisternder Süßwein!
Der 1998er Eiswein aus dem Leiwener Klostergarten mit unfassbarer Farbe, intensives bernsteinfarben mit orangenen und bräunlichen Reflexen, in der Nase Orangenzesten, Kräuterwürze und Mineralik, im Mund durch immer noch quicklebendige Säure überraschend schlank, Mandarine, Kräuter und im Hintergrund auftauchende Süße, sehr elegant und zurückhaltend, auch im Abgang sehr frisch und säurebetont, eine ganz eigene Erfahrung.
Das große Finale im Restaurant „Ballsaal“ des Hotels Richtershof mit Reiseleiter Götz Drewitz, der netten Weingruppe und vielen Winzern wie Wilhelm Haag, Martin Kerpen, Heinz Schmitt und Überraschungsgast Thomas Haag von Schloss Lieser, es wurde noch mal ganz groß aufgetischt und ausgeschenkt.
Obwohl die Moselreise nun schon so lange her ist, spuken mir immer noch viele Bilder im Kopf herum, vieles habe ich echt nicht vergessen, ein großartiger Impuls für meine Weinleidenschaft, zum Abschluss noch ein sensationeller Kellerfund: eine Riesling Auslese 2011 Lange Goldkapsel Niederberger Helden vom damaligen Überraschungsgast Thomas Haag von Schloss Lieser. Goldener Nektar, zähflüssig, wunderschöne Nase mit Aromen nach Honig, Orangenzesten, Pfirsich. Melone und Ananas, im Mund wunderbar füllig und dicht, Honig, Rosinen, Mandarine, grandioses Süß-Säure-Spiel, Mineraltöne, extrem langer Abgang, ganz großer Wein, ich hätte blind eine Beerenauslese vermutet, fantastisch!
Und noch letzte Gedanken zu den frucht- und edelsüßen Rieslingen von der Mosel. Hier ist nicht die Süße das Problem, die Säure des Rieslings ist manchmal zu heftig, hier hilft dann nur lange Lagerzeit. Habe schon selbst sehr oft erlebt, dass diese wunderbaren Weine in Weinläden in Deutschland von Verkäufern wie Sauerbier angeboten werden („Vorsicht, der ist aber lieblich!“). Durch den dauernden und hirnrissigen Verweis auf einen weit zurückliegenden Weinskandal (mit dem 99% aller Weingüter in Deutschland nichts zu tun hatten) diskreditiert man die aufregendsten und stärksten Weine und sorgt dafür, dass das Ausland dankend zum Zuge kommt. Vielleicht wissen nächste Weintrinker-Generationen diese Weine wieder mehr zu schätzen.