Wieder mal ein einwöchiger Besuch in Hamburg und immer wieder zieht es mich statt Elbe an die Alster, mir haben es die fünf wunderschönen Altbauviertel (Rothenbaum, Harvestehude, Eppendorf, Winterhude und Uhlenhorst) rund um die Aussenalster angetan, ehrwürdige Fassaden, unzählige Kanäle und Brücken, viel Gastronomie und Einkaufsmöglichkeiten, viel Grün und Idylle in der Großstadt, dieses Mal wohnten wir im ehemaligen Hamburger Fernmeldeamt in Uhlenhorst, ruhige Straße, kann ich sehr empfehlen!
Durch einen Tipp von Flori aus der Genussbar Wülfrath ging es am Montag (Ankunftstag) dann doch sofort Richtung Hafencity, um das Weinrestaurant Kinfelts zu besuchen. Ganz in der Nähe der majestätischen Elbphilharmonie wuchern nicht nur die sterilen Glasbeton- und Hochhausgebäude und die dazugehörige Langweil-Systemgastronomie, es gibt auch vereinzelte Ausnahmen und das Kinfelts lässt Gourmet- und Weintrinker-Herzen höher schlagen. Ein genussreicher Abend mit Weinbegleitung.
„Kinfelts Kitchen und Wine“ eigentlich als zweites Standbein zum Restaurant Trüffelschwein in Winterhude von Kirill und Jana Kinfelt eröffnet. Kirill erkochte sich im Trüffelsschwein 2016 einen Michelin-Stern und konnte ihn in den Folgejahren 2017, 2018 und 2019 verteidigen. Leider zwang dann Corona zur Schließung des Restaurants. Sehr traurig!, aber die Konzentration auf das „Kinfelts“ führte noch mal zu einem großartigen Qualitätsschub mit viel Perspektive. Kirill Kinfelt soll zwar manchmal auf der Arbeit Jogginganzug tragen und hätte damit ja die Kontrolle über sein Leben verloren (O-Ton Karl Lagerfeld), aber die Kontrolle über seine Küche beherrscht er weiterhin meisterhaft. Ab 2018 konnte man den Sommelier Maximilian („Max“) Wilm von dem Konzept überzeugen, mittlerweile ist er hochdekoriert und als „bester Sommelier Deutschlands“ ausgezeichnet. Zusammen mit Kirill bildet er ein dream-team, wie man in ihrem Podcast „Saufgesabbel“ hören und sehen kann.
Toller 2014er Rosé-Sekt Réserve Brut Nature vom Sekthaus Raumland aus Flörsheim-Dalsheim (Rheinhessen), 100% Spätburgunder, sensationelle 72 Monate Hefelager, transparentes helles Kupferrot, ausdrucksstarke Nase nach Apfel, Rhabarber, floralen Tönen und Hefe, wunderbar feine, aber auch straffe und angriffslustige Perlage, im Mund erst Frucht, auch etwas Herbe, dann aufkommende Mineraltöne, sehr schlank und trotzdem harmonisch, trocken und schmelzig, langer Abgang, großartiger Aperitif, aber auch gerne als Essensbegleiter, ich habe ihn bei der Nachverkostung zuhause mit Couscous genossen, himmlisch!
Der gebürtige Nordpfälzer (Bockenheim an der Weinstr.) Volker Raumland wuchs zwar auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Weinbau auf, wurde aber von den Eltern wegen unsicherer Zukunftsaussichten zu einer soliden kaufmännischen Ausbildung gedrängt. Erst danach entschied er sich dann doch für ein Weinbaustudium in Geisenheim (Rheingau) und erlebte nach einer abschließenden Blindverkostung eines Sekt-Projektes an der Weinuni seinen ganz persönlichen Schlüsselmoment: trotz Konkurrenz aus der Champagne wurde sein erster eigener hergestellter Sekt als Sieger gekürt!, das war der Startschuss für eine große berufliche Erfolgstory, die auch dem Thema „deutscher Sekt“ große positive Impulse bringen sollte. Der Weg bis zu den großen Erfolgen in den letzten zwanzig Jahren war allerdings in den 80er/90er Jahren beschwerlich und voller harter Arbeit, neben Anstellungen auf Weingütern (wo er beim Weingut Wöhrwag in Stuttgart seine Frau Heide-Rose kennenlernte), verdingte er sich auch als Auftragsversekter (mit einem umgebauten LKW) und verfeinerte nebenbei im elterlichen Betrieb seine Herstellungsmethoden. 1990 kam dann die große Chance, im benachbarten nördlichen Weinanbaugebiet Rheinhessen, die Villa Merkel in Flörsheim-Dalsheim mit 4 Hektar Weinbaufläche zu kaufen. Nach einem dreimonatigen Praktikum blieb die Französin Carole Lefèvre sieben Jahre bei den Raumlands und es wurde gemeinsam erfolgreich an der Spitzenlinie des Hauses (mit dem Triumvirat aus Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier) gefeilt. Ab 2005 dann der Durchbruch mit der ersten Auszeichnung im Gault Millau als bester deutscher Sekt. Danach unzählige weitere Auszeichnungen, behutsame Vergrößerung der Weinbaufläche auf 10 Hektar, ab 2020 erstes deutsches reines VDP-Sektweingut. Nach Lehr- und Wanderjahren und auch Ausflügen in weinferne Bereiche haben sich die Töchter Katharina und Marie-Luise 2019 entschieden, fest in den elterlichen Betrieb einzusteigen. Ohne die Familie Raumland und Team (u.a. japanischer Kellermeister Kazuyuki Kaise) wäre die deutsche Sekt-Renaissance wahrscheinlich viel später gestartet oder vielleicht sogar ausgefallen.
Blasses Zitronengelb, in der Nase zuerst viel Himbeere, benötigt Luft und etwas Wärme, dann auch faszinierende Noten von Kräutern, Meeresbrise und Zitrone, keine Brioche-Noten, superfeine Perlage, überraschend fruchtig und zugänglich, schmelzig und frisch, dazu leichte süffige Fruchtsüße, auch Säure, dadurch gute Balance, sehr schöne Länge. Jahrgang 2009 Blanc de Blancs spielte hier im blog schon mal die Hauptrolle als strahlender Sieger in einer Blindverkostung Champagner vs. English sparkling wine, ich prophezeie, dass er es nach den stark angestiegenen Preisen und mit seiner Fruchtsüße in seiner neuen Preisklasse als 2014er gegen Champagner sehr schwer hätte. Trotzdem ein toller und eleganter english sparkling wine, everybodys darling!
Trotz uralter Aufzeichnungen mit dem Namen Nyetimber ist die Geschichte des gleichnamigen Weingutes sehr kurz: Pionierarbeit im Westen von Sussex bei Pittborough, Südengland, 1988 pflanzten Stuart und Sandy Moss die ersten Chardonnay- und Pinot Noir-Rebstöcke, um Schaumweine produzieren zu können, die hervorragenden Böden und das besondere Klima in der Region waren entdeckt worden. Schon zehn Jahre später gewann die Classic Cuvee von Nyetimber 1998 bei einem renomierten Blindverkostungswettbewerb die erste Goldmedaille. Das rief den Unternehmer Eric Heerema auf den Plan, der das Potential von Nyetimber voll ausreizen wollte und neben Sussex auch die weiteren Grafschaften Kent und Hampshire für hochqualitative Schaumweinherstellung nutzen wollte. 2006 konnte er Nyetimber erwerben und 2007 die genialen kanadischen Kellermeister Cherie Spriggs und ihren Mann Brad Greatrix nach England locken. Weitere 15 Jahre später stellten sich immer mehr Auszeichnungen und Erfolge ein, die Marke ist mittlerweile in der Spitzengastronomie etabliert und wird auch gerne für Empfänge und Hochzeiten im britischen Königshaus präsentiert, trotz aktuell 350 Hektar hält man am strengen Qualitätskurs fest. Schöner Nebeneffekt, endlich haben die weinverrückten Briten ihren eigenen „english sparkling wine“, der es sehr oft mit Champagnern und anderen Hochkarätern aufnehmen kann. Darauf sind und dürfen die Briten stolz sein.
Der Wein aus der Valtellina (Lombardei) lenkte mich vom tollen Zwischengang ab (was war es noch gerade?) und machte mich sehr neugierig. Ich bestellte deshalb für die Nachprobe zuhause eine Dreierprobe des Erzeugers Barbacàn nach. Das 6 Hektar Weingut Barbacàn besteht aus Vater Angelo Sega und den beiden Söhnen Luca und Matteo, die sich auf terrassierten Steilstlagen tummeln, die ein wenig an die Terrassenmosel erinnern. Über steile Treppen transportieren sie Trauben von autochthonen Rebsorten (wie Chiavennasca (Nebbiolo), Rossola, Brugnola u.a.) nach unten, die sehr von der Höhe (bis zu 800 Meter über Null) und den extremen Klimaunterschieden zwischen Tag und Nacht profitieren. Gearbeitet wird unter biologischen Gesichtspunkten, die die Natur aber auch schon teilweise vorgibt, Handlese, Spontanvergärung und so wenig Eingriffe im Keller wie möglich. Die außergewöhnlichen Etiketten sind uralten Felsgravuren nachgebildet, die man in der Valtellina gefunden hat.
Ein sehr schöner Einstiegswein aus dem Sortiment der Agricola Barbacàn der Rosso 2021 IGT Alpi Retiche (85% Chiavennasca und 15% weitere autochthone Rebsorten): hellrot und transparent im Glas, in der Nase Kirsche, rote Beeren und Kräuter, etwas Waldboden und Pfeffer, im Mund sehr elegant und kühl, sehr leicht, fast schwebend, hinter der zurückgenommenen Frucht dezente Säure, sehr süffig und im Abgang dann auch noch angedeutete Mineraltöne.
Kräftiger und dunkler der Sol 2020 (90% Chiavennasca und 10% andere autochthone Rebsorten), der trotz intensiver Nase nach Kirchen, dunkeln Beeren, floralen Noten (Veilchen, Rosen), Minze, Tabak und Erdtönen herrlich ausgewogen im Mund bleibt. Mehr Körper und Feuer bedeuten keine Übertreibung, superelegant und süffig, neben Frucht, feiner Säure auch tiefgründige Mineralität, lang und druckvoller Abgang.
Der Rosato 2021 IGT Alpi Retiche (70% Chiavennasca und 30% andere autochthone Rebsorten) leuchtet wunderschön rosa, in der Nase Erdbeere, Himbeere und erdige Töne, im Mund rassige Säure, sehr trocken, ein Hauch rote Frucht, wenig Trinkfluß, mineralischer Abgang, ein Wein für absolute Freaks!
Die Valtellina in der Lombardei (gut merken!) bleibt mit ihren eleganten und früh zugänglichen Nebbiolos (Chiavennasche) einer meiner absoluten Lieblingsregionen für Rotwein.
Zum Hauptgang (Fleisch) gab es aus der Magnum (1,5 Liter Flasche) Rotwein vom Weingut Gernot Heinrich aus Gols, Ried (Lage) Gabarinza, vom Neusiedler See in Österreich. Regelmäßige blog-Leser wissen natürlich Bescheid und denken gleich an meinen Pannobile-Beitrag. Hier konnte das Weingut Gernot Heinrich bei der Pannobile Rot-Jahrgangsprobe 2015 von 9 Weingütern bei mir einen guten Platz 4 erobern. Die Wiedersehensfreude, die Gedanken an „meinen“ geliebten See und die Begeisterung über solche Zufälle, lässt den Weinschank manchmal seltsame Sachen sagen, nicht bös gemeint!, aber für einen souveränen und hochkonzentrierten Sommelier im stressigen Tagesgeschäft sicher nicht ganz angenehm und oberlehrerhaft, sorry!, natürlich kannte Max die Pannobile-Geschichte.
Der Gabarinza gefiel mir sehr gut zum Essen, da musste ich natürlich zuhause nachverkosten. Und was für ein Glück (oder Pech?), Weine vom Weingut Gernot Heinrich habe ich echt im Supermarkt in der Nähe meiner Arbeitsstelle gefunden (s. Bild), Fluch und Segen zugleich, zugegeben, die Weinabteilung des Supermarktes ist sehr ambitioniert, aber trotzdem droht das Auftauchen von Weingütern im Supermarkt in Deutschland immer noch den Ruf zu ruinieren, Überproduktion?, falsche Lagerung?, keine Beratung, hohe Preise? In Frankreich dagegen ist das Besuchen der Weinabteilung in Einkaufszentren eine absolute Attraktion. Habe den Gabarinza 2018 einfach mal gekauft.
Der Wein aus der Flasche mit Glasstopfen tadellos, Cuvee aus Zweigelt, Blaufränkisch und Merlot, dunkles Rubinrot mit violetten Reflexen, benötigt Luft, dann begeisternde Nase nach Johannisbeere, Brombeere und etwas Pflaume, Kräutern und erdigen Noten, im Mund kühle Eleganz, aber auch noch unreife Tannine und ein Tick zu viel Säure, trotz des warmen Jahres 2018 noch viel zu jung, ab in den Keller!, dabei tolle Konzentration feststellbar, Riesenpotential und ein extrem langer fruchtig würziger Abgang, das wird was!
Die Erfolgsgeschichte des Weinguts von Gernot und Heike Heinrich hängt neben viel Können, Abenteuer- und Investitionslust, auch an Risikobereitschaft und einer geschickten Marketingstrategie, man schafft es in Rekordzeit, die Trends und Modeströmungen in der Weinwelt aufzuspüren und zu bedienen, in Gols ging es nach Biozertifizierung 2006 auf mittlerweile 90 Hektar pausenlos zur Sache, Herausarbeitung der Toplagen (Gabarinza und Salzberg), das Pannobile-Projekt, Leithaberg DAC, Natur- und Orangeweine, Amphorenweine usw., usw.. Mit seinen einprägsamen Etiketten ist man überall dabei, mittlerweile auch an Orten, an denen man vielleicht eigentlich nicht unbedingt sein möchte, dafür illustre Nachbarschaft unter der Supermarkt-Höhensonne, Tement, Markus Molitor, von Winning, Bassermann-Jordan, van Volxem, Niepoort und viele andere Weingüter, die eigentlich viel zu groß geworden sind und trotzdem noch tolle Weine produzieren.
Die 23 Hektar Riede Gabarinza beim Weinort Gols ist eine in zwei Wellen (Langer und Kurzer Gabarinza) von der Parndorfer Platte abfallende recht steile Südwesthanglage. Der Oberboden besteht aus Schwarzerde, darunter findet man sandig-lehmige Sedimentböden und 600 000 Jahre alten Donauschotter, der sich durch Verwitterung rotbraun verfärbt hat. Durch die optimalen Bedingungen fühlen sich hier neben den lokalen Sorten wie Blaufränkisch, Zweigelt und St. Laurent auch der Merlot wohl. Hier wollte ich den Beitrag jetzt eigentlich beenden, aber zwischenzeitlich hatte ich herausgefunden, dass auch mein persönlicher Sieger der Pannobile Rot Blindprobe 2015 Besitz an der Riede hat, Weingut Andreas Gsellmann, und sogar auch ein 2018er Gabarinza im Verkauf ist. Für den direkten Vergleich musste ich einfach noch mal bestellen, verkosten und beschreiben, verzeiht mir das wiederholte Ausufern, ich bin unverbesserlich!
Rubinrote Cuvee (BF, ZW, Merlot) mit violetter Randaufhellung, benötigt viel Luft, dann feine Nase nach dunklen Beeren, etwas Pflaume und einem Schokoladen- und Tabakhauch. Im Mund fällt sofort wieder die kühle Eleganz und auch wieder die spürbare Säure auf, das gibt es doch nicht!, 2018 war doch ein warmes Jahr! Genau wie beim Gabarinza von Heinrich muss weiter im Keller gelagert werden, der Wein hat viel Potential, ist aber im Moment kein Kindergeburtstag, viel Sauerkirsche und erdig würzige Töne, langer Nachhall. In anderen Ecken war das Jahr 2018 zu warm und hat durch fehlende Säure das Lagerpotential der Weine ausgeschlossen, am Neusiedler See verblüfft mich die Säure, die beiden Gabarinza-Weine sind große Optionen auf die Zukunft!
Auf 20 Hektar führt Andreas Gsellmann in Gols am Neusiedler See die Familientradition weiter und hat sich ganz dem naturnahen Anbau verschrieben, natürlich Spontangärung und Handlese, Mitgliedschaft bei respekt-biodyn, er ist einer der neun Pannobile-Winzer, in Deutschland zu Unrecht total unbekannt.
Von meinem geliebten Neusiedler See zurück ins ebenfalls sehr gemochte Hamburg, neben dem Kinfelts haben wir noch viele Restaurants, Weinbars und Weinläden besucht, ein besonderes Lob an das tolle Restaurant Oechsle und an die Weinbars in St. Georg, Uhlenhorst und Eimsbüttel. Keine Angst, ich stelle keine Weine mehr vor! Irgendwie war auch der totale Reinfall in einem Restaurant in Uhlenhorst unvergesslich, wir haben die große Pleite anschließend noch lebhaft bei Caipirinha beim Brasilianer um die Ecke begossen und Tränen gelacht. Auch die Fahrradtour an der Wandse entlang in den Osten Hamburgs bis nach Volksdorf (Museumsdorf) sehr erstaunlich, so eine grüne Stadt mit faszinierend vielen Wasserwegen. Wir kommen (auch aus familiären Gründen) immer wieder, durch meine unglaubliche Selbstdisziplin hier (einfach mal was weggelassen!), ist auch das Weinthema Hamburg noch lange nicht ausgereizt.